Gesprächskultur
Film: Der Club der toten Dichter. Perspektiv-Wechsel.
Man kann auf seinem Standpunkt stehen,
aber man sollte nicht darauf sitzen.
Erich Kästner
Die Art und Weise, wie wir miteinander reden,
ist ziemlich daneben. Wieso eigentlich?
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Relevanz und Kernthesen
◙ Relevanz
Zur conditio humana zählt fundamental
unsere Sprachfähigkeit.
Jeu de mots:
Voraussetzung für den Dialog der Kulturen
ist die Kultur des Dialogs.
◙ Kernthesen
Die drei Ebenen einer Gesprächskultur
Animalische Ebene: Man haut sich Gelaber um die Ohren
und will nur rechthaben. Am liebsten würde man gar nicht reden,
sondern gleich prügeln – das soll sogar schon in
europäischen Parlamenten vorgekommen sein…
Menschliche Ebene: Beginn einer Gesprächskultur.
GFK = gewaltfreie Kommunikation.
Man achtet den Andersdenkenden,
redet empathisch, respektvoll und hört sich gut
seine Argumente an und geht auf sie ein.
Engel-Ebene: Gehobene Gesprächskultur:
Die Atmosphäre ist von echtem Wohlwollen
getragen - ja wo gibt es denn so etwas?
Es geht zunächst gar nicht ums Rechthaben.
Eigenartige, geheimnisvolle Aura.
Man lockt herbei Intuition, Inspiration
und vielleicht sogar den Heiligen Geist,
falls es ihn gibt, den Geist der Wahrheit.
Kreativität in potenzierter Form.
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Ziel
Offenheit statt betonköpfige Besserwisserei.
Gebildete unterhalten und diskutieren anders:
Mit ihnen lässt sich gut reden, auch dann,
wenn die Meinungen sehr unterschiedlich sind.
Betonköpfigkeit scheint ihnen sogar verhasst zu sein.
Sie haben Respekt vor der subjektiven Wahrheit des anderen,
selbst dann, wenn sie sehr befremdlich ist. Sie bleiben ruhig,
bringen freundlich ihre Argumente vor und halten das Gespräch
im konstruktiven Dialog. „Dia“ heißt dazwischen:
Die Wahrheit liegt praktisch immer zwischen uns.
Nochmal den Kästner-Spruch:
Man kann auf seinem Standpunkt stehen,
aber man sollte nicht darauf sitzen.
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Animalische Ebene
Ist es nicht peinlich, wie die Teilnehmer von Talkshows
sich nicht zuhören, sich gegenseitig unterbrechen,
unanständig lange reden, aneinander vorbeireden
und Antworten geben, die überhaupt nicht zur Frage passen.
Was soll man tun, wenn das begleitende emotionale
Engagement bei den Teilnehmern zu hoch steigt?
Viele haben Angst. Die Lage ist unübersichtlich.
Das Aushalten-Müssen vieler Alternativ-Meinungen beunruhigt.
Hier wäre ein Mediatoren-Journalismus sehr willkommen,
der auch extreme Ansichten zulässt und nüchtern kommentiert.
Die Gesprächskultur geht nämlich verloren,
wenn die Teilnehmer zu emotional werden,
Äußerungen persönlich nehmen
und die Fronten sich verhärten.
Dann wird aus Dialog ein „Diabolog“,
wie es häufig bei den Coronadiskussionen passierte.
Das Vermeiden einer emotionalen Eskalation ist fundamental,
denn wenn ein gewisser Schwellenwert
an emotionaler Aufladung überschritten ist
und die Diskutanten nur noch dampfende Komposthaufen
von Affekten sind, stehen alle Synapsen auf rot
und man möchte sich nur noch in Urlauten äußern.
Unglück heißt meist:
Nicht mehr miteinander reden können (P. Watzlawick).
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Menschliche Ebene
Prämisse: Die Subjektivität von Wahrheiten:
Der deutsche Soziologe N. Luhmann sagte:
Gelungene Kommunikation ist die Ausnahme.
Warum denn zum Kuckuck?
Weil sich subjektive Wahrheiten so objektiv anfühlen.
Sehr wahrscheinlich sind sie subjektiv auch nicht falsch,
denn man hat es ja selbst erlebt.
Die Frage ist, ob das subjektiv Erfahrene vollständig
und repräsentativ ist. Andere können ja tatsächlich
andere Erfahrungen gemacht haben.
Noch komplizierter wird es, wenn man weiß,
dass gleiche äußere Erlebnisse
sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.
Typologien (besonders das Enneagramm) zeigen schön,
dass durch den Fokus der Aufmerksamkeit Ereignisse
verblüffend unterschiedlich aufgefasst werden können.
Eine kluge Dialogfloskel ist daher:
Interessant ist deine Wahrnehmung, aber das entspricht
nicht meiner Erfahrung – ich habe anderes erlebt.
Kurz: Gebildete wissen, dass ihre Wahrheit subjektiv ist
und die objektive Wahrheit irgendwo
zwischen allen Beteiligten liegt.
Viele Stimmen machen die Wahrheit
und in (dialogisch-konstruktiven) Gesprächen
nähert man sich mehr und mehr der „objektiven“ Wahrheit.
Freilich wird diese wohl nie erreicht,
da die Realität zu komplex ist.
(Mini-Exkurs: Wir wollen die objektive Wahrheit,
haben aber nur einen begrenzten
Erkenntnisapparat mit 6 Sinnen.
Wir haben z. B. nicht eine Infrarot-Wahrnehmung wie
die Schlangen, keine Magnet-Wahrnehmung wie die Zugvögel
und keine Ultraschall-Wahrnehmung wie die Fledermäuse.
Und jetzt kommt es: Die Dinge hören nicht auf Eigenschaften
zu haben, nur weil wir dafür keine Sinne haben.
Um das Wesen der Dinge zu erfassen,
braucht es nicht-sinnliche, technisch-apparative Forschung.)
Der ärgste Feind der Wahrheit ist also die zu starre Überzeugung,
sie zu kennen. Wahrheitssuche ist und bleibt
immer essayistisch – ewige Baustelle.
Die großen Lebensrätsel sollen wir nicht lösen, sondern lieben!
Es genügt, der Wahrheit auf der Spur zu bleiben
und sich munter emporzuirren.
Wer beim Zuhören spürt, wie er sich selbst verschließt
und versteift, der ermahne sich:
Ich will jetzt verstehen, wie der andere auf seine
„Wahnsinns-Meinung“ gekommen ist!
Dialog ist nur dann wirklich ergiebig, wenn man bereit ist,
seine eigenen Grundüberzeugungen zu hinterfragen,
denn wer nur seinen Erwartungen folgt,
ist in Gefahr, nie etwas anderes zu erfahren als er bereits weiß.
Der andere sieht einfach nur andere Aspekte:
Der Perspektiv-Wechsel ist brillant anschaulich dargestellt
im Film „Der Club der toten Dichter“:
Der Lehrer, klasse gespielt von Robin Williams,
animiert die Schüler, auf das Pult zu steigen
und dadurch einen anderen Blickwinkel einzunehmen.
Ein analoger Grundsatz in der Rechtskunde ist der Satz:
Audiatur et altera pars. =
Auch die andere Seite möge gehört werden.
Etwas schwieriger als zusätzliche Aspekte wahrzunehmen
ist das Eingestehen eines Irrtums: Irren ist menschlich!
Wer seine Irrtümer zugibt, ist menschlich, das ist sympathisch!
Ein charmant eingestandener Irrtum ist
ein errungener Sieg (Karoline Gascoigne).
Zudem: Irrtümer haben Erkenntniswert:
Sie sind ironische Wegweiser zur Wahrheit.
Ein paar Details zum konstruktiven Dialog
Haltung: Respekt. Jeder Teilnehmer weiß,
dass seine eigene Meinung subjektiv ist und damit
nur eine Art Schlüsselloch-Sehen sein kann.
Jeder geht daher dem produktiven Verdacht nach,
dass auch andere Recht haben könnten (H.-G. Gadamer).
Kompetenz: Gedanken sind nicht stets parat.
Man spricht auch, wenn man keine hat (W. Busch).
Im Zeitalter von fake news:
Ohne Fakten sind Meinungen so etwas Ähnliches wie
Hämorrhoiden des Geistes (H. v. Doderer).
Klarheit: Sortierte verständliche Gedankenführung:
Es ist durchaus eine Kunst, Schweres leicht zu sagen.
Die Schlichtheit der Sprache ist das Siegel
der Glaubwürdigkeit (J. Pieper).
Nenne das Runde rund und das Eckige eckig (Konfuzius).
Philosophen haben ausgezeichnete Ideen,
dass es ein Jammer ist, wenn sie sich
aufgrund einer unverständlichen Sprache
ins akademische Nirwana katapultieren.
Narzissmus: Mitunter sind die Blitzgescheiten einfach nur eitel,
sprechen absichtlich unanschaulich und unverständlich,
weil sie lieber angestaunt als verstanden werden wollen.
Verbale Inkontinenz: Keiner möge zu viel reden:
Die größte Plage für ein kluges Ohr ist ein geschwätziger Tor.
Es ist leichter, mit einem Tier befreundet zu sein,
als mit einem Schwätzer. Jesus vergaß eine Seligpreisung
– oder der Evangelist hörte nicht zu:
Selig, die die Klappe halten und zuhören,
denn sie werden neue Perspektiven kennen lernen.
Machtgefälle: Ganz ungünstig: Nur beim Dialog
auf gleicher Augenhöhe traut sich jeder,
offen und ehrlich zu sagen, was er denkt.
Äußerst schädlich für gleichberechtigten Austausch sind
Alpha-Typen, Machos, Narzissten.
Wenn Simplifizierer ihre einseitigen Ansichten auch noch mit
Gewalt durchsetzen wollen, sind sie sogar eine regelrechte Pest.
Aktiv zuhören und auf ein Argument wirklich eingehen:
Nur so kann es zu Fortschritten in der Sache kommen.
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Engel-Ebene
jetzt wird es heftig - ferne Zukunft -
vermutlich erst nach barbarischer Epoche,
wenn der Rest mit neuem Codex startet.
Gehobene Gesprächskultur
Buber und Bohm
Weit ging Martin Buber mit seinem Begriff
der dialogischen Existenz: Die Begegnung sei
die Urkategorie der menschlichen Wirklichkeit.
Buber definiert den Menschen als das
„gegenüber seiende“ Wesen.
Er behauptet, es gäbe kein Ich an sich,
sondern nur im Hinblick auf ein Du.
Nur im personalen Angesprochen-Sein gewinnt das Ich
Fülle, Ernst und Authentizität.
David Bohm (ca. 1950) war Philosoph und ein Physiker,
von dem Einstein sagte, dass er der Einzige sei,
der über die Quantentheorie hinauskommen könne.
Bohm war aber auch Philosoph und er schrieb das Buch
„Der Dialog“, den Klassiker der gehobenen Gesprächskultur:
Die Verbindung zwischen Quantenphysik und Dialog ist
– soweit ich das richtig verstehe – der „Feldbegriff“,
eine Art schöpferischer Raum oder ein geistiges Seelenfeld.
Ich weiß, das klingt etwas eso, aber Bohm spinnt nicht,
er ist uns nur weit überlegen. Ich gebe zu,
dass ich Bohm höchstens in Ansätzen verstanden habe
und versuche es, mit einfachen Worten weiterzugeben:
Dialog enthält die Silbe „dia“. Das heißt „zwischen“.
Die Wahrheit liegt zwischen uns.
Dabei ist die Wahrheit nicht bloß die Summe der subjektiven
Wahrheiten der Einzelnen – es sind ja nicht alle da –
sondern noch eine Stufe höher:
Den „objektiven“ Wahrheitsraum wollen wir erschließen.
Jetzt werden sie staunen: Im Bohm´schen Dialog
wird weder diskutiert noch argumentiert! Noch verblüffender:
Man geht noch nicht mal auf den Inhalt des Vorredners ein.
Damit hat es Ähnlichkeit mit dem Brainstorming,
in dem man sich zunächst nur mit relevanten Aspekten inkubiert.
Das Entscheidende ist noch etwas anderes:
Die Haltung ist besonders offen und wohlwollend.
Mini-Exkurs: Das moralische Moment:
Wie schwer ist doch das Beibehalten von
Respekt und Wohlwollen, wenn andere eine
von einem selbst sehr abweichende Meinung haben.
Dialog ist intellektuelle Nächstenliebe mit dem Versuch,
fremdes Denken zu verstehen (C. F. v. Weizsäcker).
Wohlwollendes Diskutieren wurde in
Klöstern und Orden kultiviert:
Brüderliche Kritik = correctio fraterna (Thomas von Aquin).
Liebevolle Kritik = correctio cum caritate.
Man bedenke: Der andere hat sogar das Recht auf eine
objektiv irrige Meinung, solange er andere damit nicht schädigt.
Bei der Gesprächskultur nach Buber und Bohm besteht
also kein Gegeneinander, sondern ein bewusstes Miteinander,
wodurch die Wahrheitsfindung irgendwie getriggert wird.
Es geht überhaupt nicht ums Rechthaben, sondern darum,
in eine geheimnisvolle Resonanz zu kommen,
um das Feld der Wahrheit „anzuzapfen“.
Dieses Gesprächsformat ist also total anders,
als wir es aus Talkrunden kennen, wo man sich gegenseitig
ins Wort fällt und oft persönlich angegriffen fühlt.
Die Bohm´sche Gesprächskultur eröffnet neue Horizonte
und bildet einen Sinn-Fluss, der unter uns, durch uns
hindurch und zwischen uns fließt (D. Bohm).
Im gelungenen Dialog entsteht ein kreatives Kraftfeld,
ein inspirierender, dynamischer Zwischenraum,
eine fast mysteriöse Resonanz, die Einsichten hervorlockt,
die im Schlagabtausch von Streitgesprächen so nicht
zustande kommen. Ziemlich lang verläuft das Gespräch
ergebnisoffen und klug fragende Beiträge sind erwünschter
als vorschnelle Lösungen. Bohm war davon überzeugt,
dass die Etablierung solcher dialogischer Gesprächskreise
auf breiter Front Welt verändernde Kraft besäße.
Kritik
Wie kommen wir am Ende zu einer konkreten Lösung?
Man braucht doch schlussendlich einen Aktionsplan
(wer macht was wann),
wie modernes Projektmanagement nahelegt.
Hier möchte ich meinen eigenen Senf hinzugeben dürfen:
Es muss wohl zweistufig laufen
und dazwischen möge eine Nacht liegen, in der das
Unbewusste aller Teilnehmer bitte gefälligst mitbrüten möge.
Also Stufe I: Bohm´scher Dialog
Stufe II: Konstruktive Debatte
und schlussendlich Aktionsplan.
Der Bohm´sche Dialog ist uns völlig ungewohnt.
Ich behaupte, es ist Zukunftsmusik,
für die wir noch viel üben müssen.
Das schwierigste Moment ist wohl das gänzliche Loslassen
der eigenen Meinung, um die fremde Ansicht voll aufzunehmen –
wirklich „ganz Ohr“ sein. Wer kann das schon?
Ich nicht, obwohl ich es probiere. Ist es nicht meist so:
Man hält die eigene Ansicht fest im Vordergrund,
überlegt sich schon die Antwort und kann
darüber gar nicht mehr gut zuhören.
Bevor der andere zu Ende gesprochen hat,
hat man sich bereits Gegenargumente zurechtgelegt.
Wirklich zuhören heißt versuchsweise den Standpunkt
des Dialog-Partners einzunehmen (K. Jaspers),
sich in die Schuhe des anderen stellen (R. Welter-Enderlin),
aus dem Ich heraustreten und an die Tür
des Du klopfen (A. Camus). M. a. W: Um die Perspektive
des anderen 100 % nachzuvollziehen,
um mit ihm in volle Resonanz zu gelangen,
muss man sich selbst zu 100 % leer machen.
Der Becher muss leer sein,
um etwas aufnehmen zu können (Krishnamurti).
Daran scheitern die meisten, auch ich.
Man muss sehr stark sein, sich so zu öffnen.
Was passiert eigentlich, wenn man „ganz Ohr“ wird?
Es gelangt dann nicht nur eine Information in den Cortex
des Zuhörers, sondern im echt dialogischen Gespräch
kommt etwas an, was fast den Rang einer Erfahrung hat.
Die ist ganzheitlich. Nur der Redner hat sie gemacht,
aber erbringt soviel davon herüber, dass es den Zuhörer bewegt.
(Gute Redner können diesen Moment verstärken,
indem sie eine flammende Rede halten, die Funken sprüht.)
Wer als Zuhörer in Resonanz mitschwingt,
kommt verändert heraus. Solch ein beidseitiger längerer Dialog
– so Buber – erschließt das sonst Unerschlossene.
Es bilden sich bei jedem Teilnehmer schöpferische neue Aspekte,
sodass es in Stufe II sehr konstruktiv zugehen kann,
auch wenn wir uns da wieder wie gewohnt die
Argumente „um die Ohren hauen“. Hierbei wäre es schön,
wenn ein bisschen vom Geist der Stufe I
in die Stufe II schwappen würde!
Nur einer spricht, alle hören sich respektvoll und wohlwollend
die Argumente der anderen an und gehen, wenn sie selbst
daran sind (den Redestab in der Hand halten), darauf ein.
Alle anerkennen die Schönheit der Meinungsvielfalt,
die ja viel besser als Einfalt ist, da sie die Wahrheit
besser einkesselt und hervorkitzelt.
Die Teilnehmer sind selbstreflektiert,
kennen ihren Schatten und wissen,
dass Dominanzstreben und Narzissmus in der Bohm´schen
Gesprächskultur noch schädlicher als Blödheit sind.
Man hält während des Zuhörens die eigene Überzeugung
„in der Schwebe“, eine Formulierung,
die Bohm selbst verwendete.
Beim Anhören neuer Argumente versucht man,
sich nicht angegriffen zu fühlen. Und wenn doch,
wird dies sofort metakommuniziert.
(Metakommunikation bedeutet, dass man über
die Art des miteinander Redens spricht.)
Kommt ein wirklich gutes überzeugendes Argument,
möge man dies ruhig zugeben (interessanter Aspekt,
gravierender Einwand). Fortgeschrittene zeigen sogar ihre Freude,
eine neue Perspektive hinzugewonnen zu haben.
Der wahrhaftige, akademische Mensch unterwirft sich willig
der Logik des besseren Argumentes. Das ist zwar sehr unpopulär,
schafft aber eine bedeutend fruchtbarere Gesprächsatmosphäre:
Bringt man nun sein eigenes Argument,
wird auch der Partner sich nicht verschließen,
fremde Aspekte zu akzeptieren und in sein System zu integrieren.
Kurz: Man ist offen, flexibel, immer bereit,
den Akzent zu verschieben. Wir dürfen zwar eine
vorläufige Meinung, eine Arbeitshypothese haben,
aber bleiben immer revisionsbereit. Ohne Revisionsbereitschaft
sind Überzeugungen Gefängnisse (F. Nietzsche).
Es ist schade, dass es solche Gesprächsrunden
mit gehobener Gesprächskultur viel zu selten gibt.
Wo gibt es denn überhaupt so etwas?
Der Philosoph Christoph Quarch gründete die Akademie 3,
die sich grob durch die antiken Oberwerte Lebendigkeit,
Freiheit, Menschlichkeit und Schönheit
charakterisieren lässt ( → www).
Dort wird dieses Gesprächs-Format zu kultivieren versucht.
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Gesprächs-Kreise
Größere Bildungshäuser befinden sich natürlich eher
im groß-urbanen Raum. In Kleinstädten werden diese
Institutionen von den Gebildeten schmerzlich vermisst.
Dafür gedeihen dort private Gesprächskreise, in denen
mehr Geist bewegt wird als beim einsamen Bücherlesen.
Es sind besondere Oasen intellektueller Freiheit
und inspirierender Kreativität.
Man trifft sich z. B. einmal im Monat von 19 bis 21 Uhr.
Jour fixe, nicht am WE und Sommerpause meist zweckmäßig.
Ein Thema kann vereinbart werden.
Jeder kann (nicht muss) etwas mitbringen.
Diese Gesprächskreise werden auch – etwas hausbacken –
Hauskreise genannt oder etwas
aristokratischer Literatur-Kreise.
Auf alle Fälle wird das Smalltalk-Niveau von Kaffeeklatsch-
und Stammtisch-Runden deutlich überschritten.
Der globale Transformationsprozess wird nicht allein
politisch vorangebracht. Es braucht die Basis
und im öffentlichen Raum die Interaktion zwischen beiden.
Ich schließe mit einem Zitat von K. Jaspers:
Die Menschen zur Freiheit zu führen,
d. h. sie zum miteinander Reden zu bringen.
Ceterum censeo: Munter emporirren!
So long, bis zum nächsten Zyklus, der Pünder