Glaube und Zweifel

 

 

 

 

 

 Taizé hat eine geheimnisvolle, spirituelle Aura.

 

 

 

 

 

Der Glaube an einen guten letzten Grund

kann zur stärksten

Hintergrunds-Ressource werden.

K. P.

 

 

 

 

Glaube ist von unüberbietbarer Erbaulichkeit.

Peter Schlottergeist

 

 

 

Man sollte dem Gerücht eine Chance geben!

Mindestens transzendenzoffen bleiben.

 

 

 

 

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Relevanz und Kernthesen

 

◙ Relevanz:

Die heißeste Frage der Geistesgeschichte.

Die Relevanz ist evident: Glückseligkeit, der i-Punkt des Glücks.

Mit dem Gang zum Brunnen sind wir nicht zufrieden –

wir wollen die Quelle. Durch die evolutiv entstandene

Bewusstheit und Denkfähigkeit stellt sich die Frage

automatisch: Homo quaerens cur:

Der Mensch ist ein Warum-Frager.

Wer will denn nicht wissen, wo er herkommt

und wo er hingeht? Sterben wir ins Nichts?

Was überhaupt ist Geist? Was ist Seele?

Hat sich irgendwer oder irgendetwas den Kosmos ausgedacht?

Falls ja, wozu, was wäre das Motiv? Dem Tierreich

entsprungen, mit dem Wagnis der Bewusstheit ausgestattet,

schaut der Mensch sich heimlich und scheu

nach einem Ja des Sein-Dürfens um (M. Buber).

 

◙ Kernthesen:

In dubio pro deo = Im Zweifel für Gott,

denn der „Verzweifelungs-Zweifel“ ist ein mächtiger Glückskiller.

Einfaches Zweifeln ist normal und gut – dabei nur

nicht verzweifeln, sondern hindurchzweifeln.

Glaube passt schlecht ins wissenschaftliche Weltbild.

Und Gott macht keinen Mucks. Doch die Sehnsucht ist so

verdammt hartnäckig. Der berühmte Bergsteiger R. Messner

sagte, er wüsste nicht, ob da etwas sei, er lasse die Frage offen.

Auch ich empfehle, transzendenzoffen zu bleiben,

denn das halte ich für besser als das meines Ermessens

trostlose atheistische Weltbild. Meine größten kognitiven

Glaubenshindernisse wurden durch

Buber (2) und Pascal (3) ausgeräumt.

 

 

 

 

 2 

Glaube und Zweifel

Martin Buber

 

Einer der Aufklärer, ein sehr gelehrter Mann,

der vom Zaddik (eine Art weiser, heiliger Jude) Berditschewer

gehört hatte, suchte ihn auf, um auch mit ihm,

wie er’s gewohnt war, zu disputieren und seine rückständigen

Beweisgründe für die Wahrheit seines Glaubens zu

schanden zu machen. Als er die Stube des Zaddiks betrat,

sah er ihn mit einem Buch in der Hand in begeistertem

Nachdenken auf und nieder gehen. Des Ankömmlings

achtete er nicht. Schließlich blieb er stehen,

sah den skeptischen Aufklärer flüchtig an und sagte:

Vielleicht ist es aber wahr.

Der zweifelnde Gelehrte nahm vergebens all sein Selbstgefühl

zusammen – ihm schlotterten die Knie, so furchtbar war

der Zaddik anzusehen, so furchtbar sein

schlichter Spruch zu hören. Der Zaddik aber wandte sich

ihm nun völlig zu und sprach ihn gelassen an: Mein Sohn,

die Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben

ihre Worte an dich verschwendet, du hast, als du gingst,

darüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht

auf den Tisch legen können, und auch ich kann es nicht.

Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr.

Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegnung auf;

aber dieses furchtbare „Vielleicht“, das ihm da Mal

um Mal entgegen klang, brach seinen Widerstand.

 

 

 

 

 3 

Pascal´sche Wette

Alles gewinnen, nichts verlieren

Blaise Pascal

(Mystiker und Mathematiker um 1650)

 

Die Pascal´sche Wette will zeigen, dass es klug ist, im Zweifel

für einen Glauben an Gott zu optieren, denn – so sagte Pascal:

Wenn sie gewinnen, gewinnen sie alles, wenn sie verlieren,

verlieren sie nichts. Setzen sie also ohne zu zögern darauf,

dass es ihn gibt.

Wenn es also fifty-fifty steht, riskieren sie das pro deo.

Denn es gibt Gott, oder es gibt ihn nicht. Ein Mittelding

gibt es nicht, so wie man auch nicht ein bisschen

schwanger sein kann. Mir wurde klar, dass es genau

vier Glaubenszustände gibt: Die ersten zwei:

Man glaubt und es stimmt oder stimmt nicht. Die anderen zwei:

Man glaubt nicht und es stimmt oder stimmt nicht.

 

Der 1. Fall ist der ideale: Man glaubt und es trifft zu.

Das wäre der unüberbietbare Gipfel.

 

Der 2. Fall ist, man glaubt, aber irrtümlich.

Falls der Glaube auf einem Irrtum beruht,

so wäre er doch die beste Illusion, quasi ein Tranquilizer

ohne Nebenwirkung oder bester Placebo aller Zeiten.

Hermann Hesse sagte lapidar: Wenn ich keinen Glauben hätte,

hätte ich einfach keine Lust mehr zu leben. Zudem:

Den Frust der Resignation (nach dem Tod kommt ja nichts mehr)

würde man auch gar nicht erleben.

 

Im 3. Fall glaubt man nicht und es gibt auch nichts zu glauben.

Man hätte zwar die Genugtuung, sich nicht getäuscht zu haben,

aber es ist auch grottentraurig, keine endgültige Geborgenheit,

man krepiert ins Nichts, keine Erlösung.

Auch die Genugtuung erlebt man nie.

 

Im 4. Fall glaubt man auch nichts, erkennt aber

– Überraschung! – nach dem Tod seinen Irrtum.

Paradies für Atheisten! Man könnte zwar sagen,

wenn nach dem Tod doch noch etwas kommt,

kann man sich ja immer noch damit befassen.

Aber man wird auch zugeben müssen, dass man im

irdischen Leben auf den womöglich stärksten Stützpfeiler

der Ermutigung und Ermunterung verzichtet hat.

Denn umgesetzter Glaube kann zu einer großen Kraft werden,

aus der sich das Leben untergründig nährt.

Daher empfahl Pascal vor 370 Jahren den Zweiflern im Patt

unbedingt die ersten beiden Fälle, denn man hat nichts

zu verlieren, aber könnte alles gewinnen!

 

 

 

 

 4 

"Kann, darf, soll":

Gottes Unerkennbarkeit (K. P.)

 

Mein Onkel war katholischer Bischof in Brasilien,

mein Vater studierte neben Jura Theologie, mein Glaube war

im Jugendalter heftig vom Zweifel angefressen.

Ich fühle mit allen Zweiflern. Es ist schrecklich,

glauben zu wollen, aber einfach nicht zu können,

weil das Veto des Verstandes zu gnadenlos ist.

Ich kann doch nicht glauben, was ich nicht sehe!

Trotzdem kommt irgendwann der Punkt, wo nur noch

die Vertikale den Durchbruch zu einer neuen herzfrohen

Qualität des Daseins ermöglicht. Hilfreich war die Lektüre

von Naturwissenschaftlern, die den „Letzten Grund“

indirekt erschlossen: Es muss einen hoch überlegenen

Geist geben, denn Milliarden Galaxien und eine Evolution,

die zu immer komplexeren Strukturen führt,

ist nicht einfach so aus sich selbst da. Evolution ist wie ein Fluss,

der bergauf fließt und das Phänomen Leben,

sogar selbstbewusstes Leben hervorbringt!

Und ich bin zufällig dabei. Dass ich zu den Existierenden zähle,

ist doch nicht selbstverständlich. Der Kosmos könnte auch

ohne mich auskommen. Aber ich bin dabei. Wieso?

Ist das etwa Auserwählung? Wir sind sogar Zellenberge,

die über sich selbst nachdenken können! Das geht doch

gar nicht! Doch! Es ging sogar von allein,

aber dass es von allein gehen konnte, das ist kein Zufall!

Der „Letzte Grund“ ließ den Urknall knallen: Elegant:

Bloß die Gravitations-Kraft schaffte das. Es zeigten sich

dann Materie und Naturgesetze – nur die zwei,

aber was für zwei! Die Feinabstimmung der Naturkonstanten

ist für viele Naturwissenschaftler ein indirekter Gottesbeweis.

Trotzdem bleibt das Ärgernis, warum ER so abwesend ist!

Wenn ER angeblich nicht allein, sondern Beziehung sein will,

die Liebe ist, warum dann deus absconditus (abwesender Gott)?

Könnte das gute Gründe haben? Ja! Der letzte Grund darf,

kann und soll nicht klar erkennbar sein:

 

◙ ER darf nicht klar erkennbar sein, da ER unsere

Freiheit achtet. Wäre ER evident, wären wir Marionetten.

Daher greift ER auch im Leid (= Fels des Atheismus)

nicht ein (Theodizee, s. Menüpunkt Unglück).

 

◙ ER kann auch nicht direkt erkennbar sein:

ER steht außerhalb des Diesseits und wir drinnen.

K. Jaspers´ Begriff des Umgreifenden gefällt mir.

Das Umgreifende braucht nicht geschaffen werden.

Es ist seiend aus sich selbst. Stelle ich mir etwas

schwierig vor, aber IHM ist es zuzutrauen.

 

◙ ER soll auch gar nicht klar erkennbar sein!

Denn gerade das absolut Unfassbare ruft die stärkste

Sehnsucht hervor. Ein zu lüftendes Geheimnis wäre

nicht wirklich überragend. Ein Gott, der in meinen Kopf passt,

kann nur blöd sein. K. Rahner sagte, dass es – Gott sei Dank –

keinen Gott gäbe, so wie ihn sich 80 % der Gläubigen vorstellen.

Glaubhafter ist die Idee von Gott als dem Fern-Nahen

(Upanischaden, 600 v. Chr.): Die Ferne Gottes ist zugleich

seine unbegreifliche, alles durchdringende Nähe,

näher als der eigene Atem oder der eigene Herzschlag.

Wenn jemand durch Abwesenheit wirklich glänzen kann,

dann ER! Nun spreche ich von mir: Glaubenshindernisse

hatte ich nun weggeräumt, es fehlte nur noch der Sprung.

Da das Leben mich bereits weichgekocht hatte und ich schon

so weit aus dem Gleichgewicht war, dass ich gar nicht mehr

ohne einen Glauben leben wollte, sprang ich und wagte

das große Ja. Und es war gut so: Statt Grauschleier Buntfarben.

Mysteriös. Exzess der Hoffnung. Welch ein Glück,

glauben zu können. Bin ich bekloppt oder ist es Gnade?

Ihr Zweifler: Wagt es!

Ein Versuch lohnt, wenigstens ein Schnupperkurs.

Glaube ist von unüberbietbarer

Erbaulichkeit (P. Sloterdijk).

Glaube heißt, das Unzerstörbare

in sich zu befreien (F. Kafka).

 

 

 

 

 5 

Sprüche

 

Die religiöse Frage ist die höchste Leidenschaft in einem Menschen (S. Kierkegaard).

 

Wer mit Sehnsucht nach dem letzten Grund fragt, hat sich schon so weit aus dem Gleichgewicht gebracht, dass er gar nicht mehr ohne einen solchen leben kann (E. Biser).

 

Es ist einfach lächerlich zu meinen, schon jetzt ein festes Gottesbild festzurren zu können. Wir stehen am Anfang: Noch eben waren wir mit den Füßen im Schlamm, oder auf Bäumen. Die Evolution geht noch Milliarden Jahre weiter. Ist es nicht viel plausibler, dass sich das Megageheimnis des Seins scheibchenweise offenbart? Abstoßend – sogar regelrecht beschissen ist daher rigider Dogmatismus (K. P.)

 

Ohne das reinigende, sich stets korrigierende Spiel der lebendigen Sprache stirbt jede Gottesrede (J. Röser).

 

Das menschliche Gemüt ist einfach nicht genug strapazierfähig, um eine tragische Weltsicht dauerhaft auszuhalten (O. Marquard).

 

Glaube ist das herzliche Vertrauen auf Gott als Antwort auf die Angst der Welt (Margot Käßmann).

 

Glaube ist keine Last, Fessel oder Pflichtübung, sondern Glaube verleiht eine ganz neue Leichtigkeit. Für den, der wahrhaft glaubt, fangen alle Dinge an zu leuchten (P. T. de Chardin).

 

Nur wenn das Ja zum Leben „in die Vollen“ geht, kann ein Mensch voll aufblühen. Ohne diese Hochform des Vertrauens ins Leben ist alles ein Münchhausen-Krampf (K. P.).

 

Glaube ist das Sich-Loslassen ins unbegreifliche Geheimnis hinein (K. Rahner).

 

Die religiöse Frage ist enorm lebensrelevant: Wer an einen ewigen Sinn glaubt, muss das Diesseits nicht wie eine Zitrone auspressen. Nur geschmeidig ist das Glück zu finden. Wer das Glück jagt, verjagt es.

 

Ich habe den Dreck der Welt kennen gelernt und erfahren, es gibt nichts Schöneres als unseren Glauben (P. Handke).

 

So besteht Gottes Allmacht darin, dass er sie nicht nutzt (nicht in offenbarer Weise). Er will, dass der Mensch sich in Freiheit für ihn entscheidet. Niemand hat eine größere Liebe als der, der die Freiheit des anderen zu achten weiß (Simone Weil).

 

Glaube ist kein Opium zur Jenseitsvertröstung, sondern Dynamit für die Diesseitsbewältigung (K. P.).

 

◙ Dies wurde schon vor 4000 Jahren im alten China gedacht: Meint Ihr, dass es etwas gegeben hat, das vor der Entstehung des Alls bestanden hat? Dieses Etwas, das die anderen Dinge hervorbrachte, kann nicht selbst ein Ding sein, denn Dinge können nicht bestehen, bevor es etwas gibt (Tschuang Tse).

 

Nur wer von Gott ausgeht, kann ihn finden (K. Jaspers). Daher ist es klug, transzendenzoffen zu bleiben. Wer die Schublade von vorne herein zumacht, verbaut sich die vielleicht wichtigsten existentiellen Erfahrungen.

 

Glaubt ihr denn, dass der liebe Gott katholisch ist? (G. C. Lichtenberg, 1770)

 

Gottesbild!    G. = totaliter aliter